Gym Tasse Fitness Motivation
1976 forderten Freiburger Sportmediziner die Freigabe der Anabolika
für den Sport. Als sie scheitern versorgten sie die Athleten fortan
heimlich weiter.
1976 ist ein ganz besonderes Jahr im Leben der Freiburger
Spitzensportmediziner. Sie reden offen. Sie fordern die Freigabe der
Anabolika für den Sport. Sie wollen den Einsatz der Starkmacher und
Regenerationshelfer in geordnete Bahnen lenken und überwachen. Sie
wollen, dass die Bundesrepublik Deutschland konkurrenzfähig bleibt im
Weltsport. Sie sehen sich vom Staat unterstützt.
Die vier Tage vom 21. bis 24. Oktober 1976 sind von historischer
Bedeutung. Nie wieder werden die Ärzte um Armin Klümper und Joseph Keul
so offen über ihre Arbeit sprechen wie in diesem Herbst. Die Badische
Zeitung, der Südwestfunk und andere Medien dokumentieren die
spektakuläre Debatte. Sie beginnt am Donnerstag, 21. Oktober, in der
Freiburger Universitätsklinik. Die Elite der Stadt ist versammelt, als
Gerhard Groß, Ministerialrat im Bundesinnenministerium, die neuen Räume
einweiht, in denen Joseph Keul künftig wirken soll. Groß wendet sich in
seiner Eröffnungsrede direkt an Keul. Er sagt: "Wenn keine Gefährdung
oder Schädigung der Gesundheit herbeigeführt wird, halten Sie
leistungsfördernde Mittel für vertretbar. Der Bundesminister des Inneren
teilt grundsätzlich diese Auffassung."
Doping als Werkzeug im Kalten Krieg
Der Ministerialrat erklärt, die Freiburger Ärzte dürften westdeutschen
Athleten nicht vorenthalten, was in anderen Ländern längst erfolgreich
erprobt worden sei. Die BRD sei entschlossen, "mit der Weltspitze der
Sportbewegung Schritt zu halten". Der Südwestfunk zeichnet die Rede des
Bonner Beamten auf und führt dann noch ein Interview mit Keul selbst.
Der Olympiaarzt und führende westdeutsche Spitzensportmediziner
bestätigt, dass es sich bei den "leistungsfördernden Mitteln", die Groß
fordert, um Medikamente handelt: "Im Besonderen wollen wir in den
nächsten Jahren unser Augenmerk auf die Möglichkeiten einer
medikamentösen Beeinflussung der Leistungsfähigkeit beim Menschen
richten."
Keul hat Anabolika über Jahre hinweg an Athleten getestet. Er spritzt
südbadische Gewichtheber, lässt sich seine Forschungen mit Geldern des
Bundesinnenministeriums finanzieren – und kann nun endlich öffentlich
zugeben, was seine wichtigste Aufgabe ist. Keul bekommt an diesem Tag
seinen neuen Abteilungsbau, Rivale Klümper richtet sich im gleichen Jahr
eine eigene Dependance ein: die Sporttraumatologische Spezialambulanz –
ein Unikat in der BRD.
Die Feierstunde mit Ministerialrat Groß ist der Auftakt zum Kongress des
Deutschen Sportärztebundes, der in diesem Jahr in Freiburg stattfindet.
Die Badische Zeitung berichtet über den Kongress in zwölf Artikeln und
Kommentaren. Eine Schlüsselrolle spielen bei der Tagung die
Verbandsärzte – jene Mediziner, die Athleten im Auftrag der
Sportverbände betreuen. Diese Ärzte bilden eine eigene Vereinigung. Sie
beschließen auf dem Kongress die Freigabe der anabolen Steroide. Sie
prägen den Begriff der "Praktischen Toleranz": Was im Sport ohnehin
längst geschieht, soll von den verantwortlichen Medizinern nun
wenigstens in geordnete Bahnen gelenkt werden. "Wenn die Ärzte Nein
sagen, dann gibt es überhaupt keine Kontrolle", erklärt Dirk Clasing,
der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft. "Es ist deshalb doch besser
mitzugehen, zu steuern und sinnvoll zu helfen, als zu sagen: Wir sind
völlig dagegen!"